Podcast: Mangelnde Wertschätzung am Arbeitsplatz
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4. November 2019Das innere Team – Ein (Selbst-)Coaching Tool
Der deutsche Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun hat zu unseren inneren Stimmen einmal Folgendes gesagt: „Der gesellschaftliche Raum ist von einer Vielzahl von Stimmen erfüllt, und es kann nicht ausbleiben, dass sich dieses Stimmengewirr in mir niederschlägt, dass die Außenstimmen sich mit eignen Regungen verbinden und dass ich, wenn ich von einer bestimmten Frage stehe und in mich hineinhorche, es mit dieser inneren Pluralität viel heftiger zu tun bekomme als meine Urgroßeltern“ (Groher, 2014).
Es gibt, wenn ich abends nach Hause komme nach einem Seminar, einen Teil in mir, der sagt, „Antje, nimm deine Sporttasche und gehe ins Fitnessstudio oder gehe im Sommer abends zum Schwimmen an den See. Baue Adrenalin ab und bewege dich, das tut dir gut, das weißt du.“ Dann gibt es in mir den Entspannungsteil, der sagt: „Komm, leg dich aufs Sofa und mache dir einen Tee oder schenke dir ein Glas Rotwein ein. Lass es dir gutgehen, lies etwas oder höre Musik.“ Und es gibt einen dritten Teil, den Arbeitsteil, der dann sagt: „Hey, du hast 150 E-Mails auf dem Rechner, es gibt genug zu tun. Du musst an deinem Buch weiterarbeiten, Dinge organisieren, Flüge buchen etc. Also, ran, Rechner hochfahren und los geht`s!“ Diese drei Teile sitzen in meinem Innern gemeinsam an einem Konferenztisch. Manchmal gehen sie friedlich miteinander um, die Entscheidung ist schnell gefällt, manchmal gehen sie auch eine Kooperation ein und manchmal ist es weniger friedlich. Dann können wir beobachten, was wir auch von Menschen in Konferenzen kennen: Die Teile streiten.
Ansätze fürs innere Team finden sich ebenso in der Neurolinguistischen Programmierung (NLP) wie auch bei Friedrich Schulz von Thun und dem US-amerikanischen Psychotherapeuten Richard C. Schwartz („Das System der Inneren Familie“ oder „Internal Family Systems“, kurz IFS-Modell). Wenn ich einen Vortrag halte, gibt es ein inneres Team, zu dem z.B. die „erfahrene Trainerin“ gehört, die sagt: „Toll, so viele Menschen sind heute Abend gekommen und interessieren sich für meine Arbeit und Ansätze. Super, dass ich wieder zeigen kann, was ich kann und wie viel ich weiß.“ Dann gibt es auch einen inneren „Fan“ für das Thema Mentale Stärke, Motivation und Selbstführung und dieser Teil sagt: „Ah, ich werde wieder begeistern!“ Es gibt aber auch eine „Qualitätsbeauftragte“, die sich fragt: „Na, hast du dich auch wirklich gut vorbereitet? Kannst du alle abholen?“ Bei Menschen, die unter Prüfungsangst leiden, kommt noch der ängstliche Teil, vielleicht in Form des „schüchternen Mädchens“ hinzu, das fragt: „Uff, sind das nicht zu viele Menschen?“
Schulz von Thun sieht den Menschen nicht als innerlich einheitliches Wesen, sondern identifiziert verschiedene, unterschiedliche Teile in der Gesamtpersönlichkeit: zum Beispiel Beschützer, Bewacher, Repräsentant, Didaktiker, Entertainer, Kämpfer, Dialogbereiter, Selbstzweifler, Mitleidige, Anerkennungsbedürftige, Arbeitsgestresste etc. Die Teile stehen für unterschiedliche Wertehaltungen, Motive und Ziele. Nach Schulz von Thun (1998) ist die Erkundung des inneren Teams eine Methode zur Selbstklärung (beruflich und privat), zur inneren Teamentwicklung und zur Verbesserung einer guten Aufstellung für herausfordernde Rollen und schwierige Situationen. So können wir, je nach Situation und Gegenüber, die innere Mannschaftsaufstellung variieren. Die nähere Betrachtung unseres inneren Teams hilft, ein inneres gutes Betriebsklima herzustellen statt einen inneren Bürgerkrieg zu pflegen. Ziel ist, zu einer Haltung zu gelangen, die jeden Persönlichkeitsanteil anerkennt, frei nach dem Motto: „Gut, dass ihr alle da seid!“ In unserer inneren Mannschaft sind alle gleich wichtig und jedes Mitglied ist unkündbar.
Ich erlebe aber oft innere Teams als einen zerstrittenen Haufen statt als konstruktives Team. Meistens melden sich bei einem konkreten Anliegen mehrere Stimmen, die sich nicht einig sind. Einige sind laut, andere sehr zaghaft und schüchtern. Werden die Bedürfnisse einzelner innerer Teile verletzt –durch Zurückweisung, Verletzung, Abwertung, Kränkung, Beleidigung und Beschämung – bilden sich Bewältigungsschemata, die oftmals Trotz, Angst und Vermeidungsstrategien sind. Sie nähren negative Selbstüberzeugungen („Ich bin nicht okay“, „Ich bin nicht genug“). Alle Teile, die wir nicht wollen, randalieren. Die gefühlte Ausstoßung innerer Teile verursacht Schmerz und Angst. Im Außen zeigen wir uns dann hart und unverletzlich. „Meine abgelehnten Persönlichkeitsanteile nehme ich überdeutlich dort wahr, wo es selbstwertschonend möglich ist: Beim Gegenüber (Kinder, Lebenspartner, Vorgesetzte, Mitarbeiter)! Um sie dann dort zu bekämpfen“ (Schulz von Thun, 2010). Innere Teamkonflikte rauben uns den Schlaf (zu wenig gehörte Teammitglieder reden dann) und erschrecken. Sie machen auf der anderen Seite beweglich, fördern unsere persönliche Entwicklung und suchen Balance.
Da die Qualität von Führung und Selbstführung eng zusammenhängt, gilt auch hier: Je geklärter Ihr inneres Team ist, desto klarer ist auch Ihr externer Führungsstil gegenüber Ihren Mitarbeitern. Je stärker Sie sich selbst auch deshalb regulieren können, weil Sie Ihre inneren Persönlichkeitsanteile anerkennen und berücksichtigen, umso sicherer treten Sie als Führungskraft auf. Klarheit im inneren Team verbessert auch Ihre Kommunikation. Schulz von Thun: „Wer mit sich selber einig (geworden) ist, kann der Welt mit vereinten Kräften begegnen. Sie verleihen ihm Ausstrahlung von Eindeutigkeit, Sicherheit, Ruhe, Souveränität, Autorität und das damit verbundene Gewicht, die damit verbundene Durchsetzungskraft“ (Schulz von Thun, 2010, S. 155). Persönlichkeitsanteile anzuerkennen, die man selbst am liebsten gar nicht hätte, ist nicht immer leicht, aber für die Entwicklung echter Stärke unerlässlich. Schulz von Thun sagt dazu: „Ein mit allen Wassern gewaschener Profi muss auch dem inneren Menschen gewachsen sein, der in ihm wohnt und dort fortwährend sein Wesen, manchmal auch sein Unwesen treibt!“ (Schulz von Thun, 2010).
Selbsterforschung des inneren Teams
Jeder kann sein inneres Team erkunden, die einzelnen relevanten Teilnehmer identifizieren und mit Namen versehen, Einzelstimmen anhören, die Teile in wertschätzender Weise beschreiben, eine freie Diskussion anregen und zulassen. Und nach einem Brainstorming Lösungen finden, denen alle zustimmen können. Haben Sie Schwierigkeiten eine Entscheidung zu treffen, liegt dem auch manchmal das Ungleichgewicht Ihres inneren Teams zugrunde. Schaffen Sie in solchen Momenten Distanz zu sich selbst, dann werden die Gründe für Ihr Zögern greifbarer. Haben Sie diese erkannt, fällt die Entscheidung meist leichter und schneller. Wenn Sie sich mit Ihrem inneren Team beschäftigen, gewinnen Sie Klarheit darüber, warum Sie manches einfach nicht tun.
Wie beim Management Ihres realen Teams im Job, ist auch bei Ihrem inneren Team das Ziel aus teilweise kontroversen Typen ein Team zu formen und es kooperativ zu führen. Arbeiten Sie alle Einwände Ihrer inneren Anteile ab und kümmern Sie sich um vernachlässigte Teammitglieder. Ermitteln Sie eine Idealaufstellung Ihres inneren Teams. Fragen Sie sich: Wie wäre es für mich ideal? Fehlt jemand im Team, können Sie den fehlenden Teil mental aufbauen, z.B. mit Verhaltensübungen?
Hilfreiche Fragen zur Erkundung Ihres inneren Teams sind z.B.: Mag es sein, dass ich unterschiedliche innere Stimmen habe? Was ist in meinem Kopf los? Welche inneren Teammitglieder stehen mir in der Führungsrolle zur Verfügung? Mit welcher typischen Mannschaftsaufstellung trete ich als Führungskraft/Lebenspartner/Trainer an? Wer „bewacht“ meine Komfortzone, z. B. der innere Schweinehund („Eigentlich wollte ich, aber …“)? Wer ist es bei mir, der meine Lebenslaune eintrübt? Wer ist es bei mir, der mir nicht helfen will, aufzublühen (in einer konkreten Situation oder in allen möglichen Lebenslagen)? Welche inneren Stimmen melden sich angesichts eines konkreten Anliegens bei mir zu Wort? Was oder wer regt und rührt sich in mir? Wie sieht er/sie aus? Was sagt jede einzelne Stimme? Was ist die prägnante Kernbotschaft? Passen diese Stimmen eigentlich zur Situation? Welches Teammitglied könnte ich stärker zum Leben erwecken? Wer empört sich denn hier in mir? Wer in dir hat sich etwas anderes erhofft bzw. ersehnt? Wer macht sich bei mir überhaupt nicht bemerkbar? Kenne ich den Teil auch sonst in meinem Leben? Wer gehört zusammen? Wer ist im Konflikt mit wem? Was vertritt wer? Wie ist die Dynamik? Verbündete? Koalitionen? Seilschaften? Machtverhältnisse? Was hält meine Stimme X davon, dass …? Kann ich das Argument meiner inneren Stimme übergehen? Ist es so banal, dass ich es nicht zu berücksichtigen brauche? Befassen Sie sich mit jeder Stimme einzeln. Hören Sie ihnen aufmerksam zu. Identifizieren Sie sich nacheinander mit allen Teilen. Und erkunden Sie die gute Absicht: Was ist die gute Absicht? Welche alternativen Methoden gibt es?
Warum Sie diesen Aufwand betreiben sollten? Weil es Ihre seelische Gesundheit fördert und keinesfalls den Weg zur multiplen Persönlichkeit, falls Sie das fürchten. Die Auseinandersetzung mit unserem inneren Team führt zu einem liebevolleren Umgang mit uns selbst. Wer sich darauf einlässt, hat in Sachen Selbstführung schon viel gewonnen.
Jeder Teil will etwas für uns sicherstellen. Es gilt, die positiven Absichten der inneren Teile wahrzunehmen und zu hören. Manchmal läuft es dann auf einen Kompromiss heraus und manchmal gewinnt einfach ein Teil. Bei mir ist es (leider) oft der Arbeitsteil. Daneben habe ich in mir aber auch einen Teil, die „Verantwortliche“, dieser Teil wirkt manchmal wie ein „Kontrolletti“ und wenn dieser Teil zu stark in mir ist, dann ist es auch keine Stärke mehr. Darüber hinaus gibt es auch die „Macherin“, dieser Teil wirkt im Job oft positiv für mich, auch in Gruppen. Dann gibt es eine „Planerin“, die unter Druck auch mal zur Prinzipienreiterin werden kann. Es gibt eine „Mutige“, denn ich habe ein starkes Unabhängigkeitsgefühl in mir. Es gibt eine „sachliche Problemlöserin“, die viel analysiert und sich gelegentlich zurücknehmen muss. Es gibt in mir aber auch eine „Verletzte“, vor allem privat, die ich nicht so gerne zeige. Manchmal gibt es auch eine „Unsichere“, z. B. bei einer Rede mit ca. 2000 Leuten im Publikum. Ebenso gibt es eine „Dünnhäutige“, wenn ich wenig geschlafen habe, mich überfordert fühle, überarbeitet bin, dann reagiere ich emotional stärker als sonst und manchmal bin ich eine „Festbeißerin“. Sicher gibt es noch mehr innere Anteile.
Jeder kann sein inneres Team erkunden und angesichts eines bestimmten Anliegens fragen: Welche inneren Stimmen melden sich bei mir zu Wort? Wer spricht, wie sieht die innere Stimme aus? Was sagt jede einzelne Stimme? Was ist die Kernbotschaft? Hören Sie sich jede einzelne Stimme an und starten Sie im Anschluss eine Diskussion dieser Stimmen miteinander. Genau wie im Arbeitsleben kann bei Ihrem inneren Meeting das gemeinsame Brainstorming zu konstruktiven Lösungsvorschlägen führen.
Das innere Team spielt auch für das immer wichtiger werdende Thema Gesundheit eine Rolle. Berufen Sie eine „Gesundheitskonferenz“ ein, die die verschiedenen Seiten einer Persönlichkeit berücksichtigt – sowohl die ungern gezeigten als auch die gern gelebten. Ein Beispiel: Es gibt den „Sonnyboy“, der sagt, wo es langgeht. Damit zeige ich meinen sportlichen, starken Anteil und den „Menschenfreund“ in mir. Auf der anderen Seite zeige ich ungern meine Traurigkeit, dass ich vielleicht keinen Plan habe, gelegentlich ein „Faulenzer“ bin oder wie ein kleines „Baby“, manchmal ein „Schwein“, das andere über den Tisch zieht und mich manchmal sehr unattraktiv finde. Dann erkranke ich an Grippe. Die Krankheit ist ein Symptom für den inneren „Faulenzer“, der nicht gezeigt wird, und nun als Reaktion den Organismus flach legt. Es sind immer beide Seiten in uns angelegt. Die Teile, die nicht zu ihrem Recht kommen, streiken irgendwann – gleich einer Waage, die sich bewegt. Es ist hilfreich, in sich hineinzuschauen: Wie sind die Teile bei mir gewichtet? Was kommt zu kurz? Welcher Teil in mir möchte gerne auf die Bühne des Lebens? Selbstverständlich gehört auch Mut dazu, die „hinteren“ Anteile zu leben. Doch wenn wir in Schieflage mit unseren Anteilen leben, treten Symptome z.B. in Form von Erkrankungen auf, um das Gleichgewicht unter den inneren Anteilen wiederzustellen. Bei Krankheiten gilt es dann zu fragen: Welcher „hintere“ Anteil ist durch die Erkrankung nach vorn gekommen?
Beim Umgang mit Niederlagen und Misserfolgen tritt der innere „Perfektionist“ in Erscheinung, der sagt: „Es gibt nichts Schlimmeres, als Fehler zu machen!“ Der „Ängstliche“ gesellt sich hinzu und sagt: „Ich habe große Angst vorm Versagen!“. Dann kommt „Everybody‘s Darling“ und meint: „Es ist wichtig, dass mich alle mögen!“. Der „Hasenfuß“ fürchtet sich: „Ich habe große Angst, kritisiert und zurückgewiesen zu werden!“ Hier hilft es, eine weitere Stimme zu Wort kommen zu lassen, die die Äußerungen in Relation setzt, vielleicht den „Mentor“ oder „die weise Alte“. Diese Stimme könnte dem Perfektionisten entgegensetzen: „Was ist so schlimm daran, einen Fehler zu machen? Siehst du nicht, was du daraus lernen kannst?“ Everybody’s Darling müsste sich fragen lassen, ob es realistisch ist, dass er/sie von allen gemocht wird. Solche Gegenspieler in Ihrer inneren Diskussion helfen, Bedenken und Anliegen Ihrer inneren Anteile zu relativieren und auf ein gesundes Maß zu reduzieren.
Literatur:
Groher, J. (2014) Führungskraft. Erfolgreiche Führung beginnt mit Selbstführung. Gabal, Offenbach, S. 90.
Schulz von Thun, F. (1999) Miteinander Reden. Störungen und Klärungen. Bd. 1, Rowohlt, Reinbek.
Schulz von Thun, F. (1998/2010) Miteinander Reden. Das Innere Team und situationsgerechte Kommunikation. Bd. 3, Rowohlt, Reinbek.
Textauszug aus Antje Heimsoeth, „Kopf gewinnt!“ Der Weg zu mentaler und emotionaler Führungsstärke“. Springer Gabler Verlag, 2017.
© Ihre Antje Heimsoeth
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Über die Autorin Antje Heimsoeth
Ihre berufliche Laufbahn begann Sie als Geodätin. Heute gehört Sie als erfolgreiche Keynote Speakerin mit hunderten von Vorträgen und Expertin für Mentale Stärke, Motivation, Leadership, Erfolg, Selbstführung und Spitzenleistungen und zehnfache Buchautorin zu den bekanntesten, gefragten und einflussreichsten Mental Coaches von Spitzensportlern, Führungspersönlichkeiten, Vorständen, Spitzenmanagern, Unternehmern und Rednern. Sie wurde als „Vortragsrednerin des Jahres 2014“, mit dem Award „Erfolgreiche Unternehmerin 2016“, in 2019 mit Top 10 Trainer & Influencer und in 2017 mit TOP 100 Erfolgstrainer (durch das Magazin ERFOLG) ausgezeichnet. Bei Managern und Medien gilt sie als „renommierteste Motivationstrainerin Deutschlands“ (FOCUS).
1 Comment
Hallo Frau Heimsoeth,
toller Artikel – vielen Dank dafür. Hab mich durch meine NLP-Ausbildung (Master) schon viel mit den inneren Anteilen auseinandergesetzt und bin ein großer Fan von dieser Art an sich zu arbeiten. War ein tolles Refreshing!
Weiterhin viel Erfolg!
Schöne Grüße, Andrea